Fallsammlung Berufliche Vorsorge - 39 Übungsfälle mit Lösungsvorschlägen

Marc Hürzeler/Tulay Sakiz Fallsammlung Berufliche Vorsorge 39 Übungsfälle mit Lösungsvorschlägen, Basel 2018, 192 Seiten, CHF 48.-, ISBN 978-3-7190-3857-1

Rezension in der SZS


Übungsbücher sind eher selten Gegenstand von Rezensionen. Dies mag daran liegen, dass man sich von ihnen einen weniger hohen Erkenntniswert verspricht oder dass man ihren Einsatzbereich primär im Hochschul- und Weiterbildungsbereich (und weniger in der breiteren Praxis) verortet. So weisen die Autoren Hürzeler und Sakiz im Vorwort denn auch darauf hin, dass sich die Fallsammlung als (ergänzendes) Lehr- und Lernmittel an Studierende und Dozierende im Bereich der beruflichen Vorsorge richtet. Die Fallsammlung wird diesem Anwendungsbereich – so viel sei vorweggenommen – vollends gerecht. Bei eingehender Betrachtung wird zudem ersichtlich, dass sie noch für ein viel breiteres Publikum als nur für Studierende und Dozierende äusserst wertvoll sein kann.

Dies hängt einerseits mit dem Rechtsgebiet zusammen. Das Feld an Fachliteratur im Bereich der beruflichen Vorsorge darf als eher überschaubar bezeichnet werden. Hinzu kommt, dass die einschlägigen Standardwerke umfangmässig eigentliche «Elefanten»1 darstellen und sich daher vor allem als Nachschlagewerke und weniger als «Refresher» eignen oder aber schon ein paar Jahre älter sind.2

Die vorliegend besprochene Fallsammlung umfasst 177 Seiten, was auf den ersten Blick für eine Fallsammlung stattlich erscheint. Der Aufbau ist denkbar einfach in 39 nummerierte Fälle gegliedert. Jeder Fall umfasst inkl. Lösungsskizze vier bis fünf Seiten. Diese Portionierung macht das ganze Werk sehr übersichtlich und hinterlässt einen einladenden Eindruck. Es eignet sich aufgrund dieser Unterteilung sehr gut für unterwegs oder für kürzere freie Momente zwischendurch. Bei der Benutzung hat es sich als sehr hilfreich herausgestellt, dass die einzelnen Fälle keine Fantasiebezeichnungen aufweisen, die zwar möglichst originell klingen, den Leser aber uninformiert zurücklassen. Vielmehr wurden die Fälle mit leicht verständlichen Überschriften (z. B. «Kündigung des Anschlussvertrages» oder «Stellenwechsel und Invalidität») versehen, die auch ein erneutes Auffinden eines bestimmten Falles oder ein gezieltes Nachschlagen einer Textstelle leicht machen. Die Inhaltsübersicht stellt damit beinahe schon ein griffiges Stichwortverzeichnis dar.

Die einzelnen Fälle sind systematisch jeweils gleich aufgebaut und bestehen aus einem kurzen (höchstens eine Seite langen) Sachverhalt (dem eigentlichen Fallbeispiel), auf den unmittelbar eine bis sechs Fragen folgen. Insgesamt umfasst die Fallsammlung damit 107 einzelne Fragestellungen. Sodann folgen auf zwei bis vier Seiten die jeweiligen Musterlösungen zu den gestellten Fragen. Das Ganze ist dabei sehr ansprechend mit farblichen Abhebungen von Sachverhalt und Fragestellungen dargestellt. Geglückt ist auch die gewählte Abfolge der Fälle, die nicht einer zufälligen Ordnung folgt, sondern einen thematisch sinnvollen Verlauf entlang der systematischen Teilbereiche der beruflichen Vorsorge nimmt. Als kleines Manko liesse sich immerhin benennen, dass die nachfolgende Übersicht nicht aus dem Inhaltsverzeichnis hervorgeht, sondern sich dem aufmerksamen Leser lediglich aus den Sachüberschriften in den Kopfzeilen erschliesst:

  • Grundsätze der beruflichen Vorsorge (ein Fall)
  • Vorsorgeeinrichtung, Verwaltung und Organe (drei Fälle)
  • Versicherte Personen und versicherter Lohn (ein Fall)
  • Altersleistungen (vier Fälle)
  • Invalidenleistungen (elf Fälle)
  • Hinterlassenenleistungen (drei Fälle)
  • Leistungskürzungen (ein Fall)
  • Leistungskoordination (drei Fälle)
  • Austrittsleistungen (drei Fälle)
  • Wohneigentumsförderung (drei Fälle)
  • Finanzierung (zwei Fälle)
  • Einkauf und Steuern (ein Fall)
  • Rechtspflege (drei Fälle)

Diese Auflistung lässt einerseits erkennen, dass die Fallsammlung eine sehr breite Palette an praktischen Fragestellungen aufnimmt. Die Autoren haben es verstanden, sämtliche Bereiche der beruflichen Vorsorge abzudecken, was dem Leser eine umfassende Vertiefung ermöglicht. Anderseits wird deutlich, dass der Schwerpunkt der Fallsammlung auf dem Leistungsrecht der beruflichen Vorsorge liegt (22 von 39 Fälle). Das ist angesichts der eminenten Bedeutung der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenrenten im System der beruflichen Vorsorge auch nicht weiter verwunderlich, sondern widerspiegelt die Häufigkeit dieser Problembereiche in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis. Gleichzeitig erhalten die Leserinnen und Leser dort eine inhaltliche Verdichtung mit detaillierten Fragestellungen, wo sie auch in der Praxis häufig mit Problemen und Unklarheiten konfrontiert werden.

Nebst dem bereits Ausgeführten liegt der wahre Wert dieser Fallsammlung in den Musterlösungen. Musterlösungen von Fallsammlungen und Übungsbüchern können sehr unterschiedlich ausfallen. Teilweise sind sie äusserst kurz gehalten und dienen lediglich der unmittelbaren Überprüfung des soeben erlernten Wissens, das man sich parallel mit einem umfangreicheren Hauptlernmittel erarbeiten muss. Hürzeler/Sakiz haben einen anderen, aufwendigeren Ansatz gewählt und sich dafür entschieden, umfassend ausformulierte Lösungen (zu den total 107 Fragen) zu erarbeiten. In diesen zeigen die Autoren den Leserinnen und Lesern anhand der einschlägigen gesetzlichen Regelungen jeweils zunächst die theoretischen Grundlagen auf, um danach die eigentlichen Lösungsvorschläge zu präsentieren. Diese werden darüber hinaus mit entsprechenden Fussnotenverweisen auf die wichtigsten Entscheide des Bundesgerichts oder auf weiterführende Literatur untermauert. Zuletzt wird die wichtigste Rechtsprechung und Literatur am Ende jeder Falllösung zusammenfassend kurz aufgeführt.

Damit halten die Leserinnen und Leser keine Fallsammlung, sondern ein eigentliches Praxislehrbuch zum Preis von unter fünfzig Franken in den Händen, das sich ohne jegliche Einleitungen oder historische Abrisse ausschliesslich auf die in der Praxis relevanten Kernpunkte der beruflichen Vorsorge fokussiert. Dabei werden von der Nullverzinsung der Altersgut- haben über die nachträgliche Verschlechterung des Invaliditätsgrades bis zur Rückzahlung von Hypothekardarlehen lauter zentrale Themenbereiche angesprochen. Kaum einer der 39 Fälle darf als simpel unterschätzt werden. Fast alle Fallkonstellationen haben in der Praxis nach wie vor eine hohe (oder sehr hohe) Relevanz. Insbesondere die zitierte Rechtsprechung ist für jeden Praktiker im Bereich der beruflichen Vorsorge (und natürlich auch für jeden Studierenden) äusserst wertvoll, da derartige Darstellungen der Kasuistik ansonsten nur in deutlich umfangreicheren (und teureren) Werken zu finden sind.

Die «Fallsammlung Berufliche Vorsorge» erweist sich gewissermassen als verstecktes Juwel für alle, die sich eine gut aufgebaute, kurz gefasste aber gleichzeitig hochgradig praxisbezogene Übersicht im Bereich der beruflichen Vorsorge wünschen. Kritisiert werden könnte einzig, dass der Titel als «Fallsammlung» zwar zutreffend ist, jedoch das wahre Ausmass des Inhalts nur ungenügend erahnen lässt. Das Buch ist m. E. eine klare Empfehlung für Studierende an Universitäten und Fachhochschulen, wobei hier anzumerken ist, dass der zeitliche Aufwand für die Durcharbeitung der Fälle aufgrund der konzentrierten Darstellung der inhaltlich zum Teil komplexen Fragen nicht unterschätzt werden darf. Für Personen ohne Vorwissen oder Erfahrung im Bereich der beruflichen Vorsorge kann dies trotz der sehr guten Musterlösung eine Herausforderung darstellen. Die Sammlung eignet sich zudem auch für Dozierende, die sich von Fällen inspirieren lassen oder diese integral in ihre Vorlesung als Übungs- und Repetitionsmaterial einbinden können.

Last but not least ist diese Fallsammlung m. E. ein Must-have für jeden (angehenden) Stiftungsrat und jeden (Kader-)Mitarbeiter einer Vorsorgeeinrichtung, um in mundgerechten Häppchen das Wissen über die eigene Tätigkeit spielerisch überprüfen und auffrischen zu können. Dabei allfällig entdeckte Wissenslücken können danach immer noch in einem etablierten Standardwerk nachgeschlagen werden.

 

1 Die Grosskommentare KOSS BVG und FZG (2. Aufl.) und Basler Kommentar BVG weisen beide einen Umfang von über 2500 Seiten auf. Das bekannte Werk Berufliche Vorsorge (3. Aufl.) von Ulrich Stauffer hat über 1000 Seiten, und auch die von Marc Hürzeler 2020 vorgelegte Berufliche Vorsorge ist noch deutlich über 600 Seiten dick.

2 Zu denken ist z. B. an das gerade aufgrund seiner Kürze und Prägnanz ansprechende Werk von Michael Riemer/ Gabriela Riemer-Kafka, Das Recht der beruflichen Vorsorge in Schweiz (2. Aufl.), das aber mit Jahrgang 2006 schon etwas älteren Datums ist.

 

 

RA Dr. iur. Michael E. Meier, Oberassistent für Staats­, Verwaltungs­ und Sozialversicherungsrecht, Universität Zürich

 

 

SZS Heft 1/2022, Literaturanzeige von Dr. iur. Michael E. Meier zum Werk "Fallsammlung Berufliche Vorsorge 39 Übungsfälle mit Lösungsvorschlägen" von Marc Hürzeler und Tulay Sakiz

 

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